Trägt der ‚homo sacer‘ Maske? Eine Kritik an Agambens philosophischer Deutung der (Covid-19-)Politik
Mit seinen Interventionen zur Corona-Politik überraschte der als Starphilosoph gehandelte Autor des homo sacer-Projekts die Öffentlichkeit. Nach Giorgio Agamben sei die Pandemie „bewusst zum Vorwand genommen“ worden, um „ein völlig neues Paradigma zu schaffen, wie Menschen und Dinge zu regieren seien“. In der Corona-Politik erblickt Agamben eine Herrschaft, die sich auf dem Ausnahmezustand begründet, und daher „Berührungspunkte mit den Ereignissen im Deutschland des Jahres 1933“ aufweise. Es muss nicht betont werden, wie sehr Agamben, der bisher als wichtiger Stichwortgeber einer linken antirassistischen Kritik von Grenzziehung und Ausschlüssen aller Art rezipiert wurde, mit diesen Aussagen aus dem common sense – vor allem dem der Linken – fällt. Interessant ist jedoch, dass Agamben seine den Bewertungen zugrundeliegende Philosophie, die um die Begriffe Biopolitik, Souveränität, Ausnahme und nacktes Leben kreist, nicht modifizieren musste. Dass folglich Agamben zu genau diesen Urteilen über die Corona-Politik kommt, überrascht daher kaum, wenn sein bisheriges Werk philosophisch ernst genommen wird. Denn Agamben hat hier nur jene Philosophie, die er seinen Rezipient:innen unter anderem an der US-Politik nach 9/11 plausibilisieren konnte, auf ein Feld übertragen, bei dem eine andere politische Gemengelage herrscht. Dies sollte Anlass genug sein, genauer auf die von Agamben formulierte Kritik der Politik, wie auch seine philosophischen – im Wesentlichen auf Heidegger aufbauenden – Grundlagen zu schauen.
Jan Rickerman hat Sozialwissenschaften und Philosophie studiert und ist Mitglied der Redaktion Extrablatt. Aus Gründen gegen fast Alles. Veröffentlichungen: Die „letzte Sinnlosigkeit“ Zur Kritik des Kommenden Politischen Existentialismus bei Giorgio Agamben. In: Zeitschrift für kritische Sozialtheorie und Philosophie. Heft 5 Band 2. Sowie „Wenn wir dich eliminieren, verlieren wir nichts“. Zur Gesellschaftslehre des Kommunismus der Roten Khmer. In: sans phrase. Zeitschrift für Ideologiekritik. Band 9.
Der Vortrag findet in den Räumlichkeiten der WWU Münster sowie online via Zoom statt. Es gelten die tagesaktuellen Hygienemaßnahmen.
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