In Kooperation mit der Fachschaft Philosophie der WWU Münster
Dass Judith Butler auch nach über 30 Jahren Gender Trouble immer noch die bedeutendste Referenz in geschlechter- und identitätspolitischen Debatten ist, zeigen einmal mehr die Diskussionen und die Empörungslage um den Sammelband Beißreflexe und diesbezügliche veröffentlichungen in der Zeitschrift Emma. Ohne auf die Argumente des Bandes und der Artikel einzugehen, sahen sich Butler und Sabine Hark in der „Zeit“ genötigt, gegen ein »Bashing der Gender- und Queer-Studies« vorzugehen und entlang der Feststellung einer »Grammatik der Härte« zu behaupten, »eine Form von Trumpism« habe sich »im Feld des Feminismus eingerichtet«, durch den sich die Kritikerinnen und Kritiker letztlich mit »[rechts-]populistischen Kräften« verbünden würden. Butler und Hark nahmen offenbar aber besonders daran Anstoß, dass Kritikerinnen und Kritiker die dogmatische Dominanz jener Gender- und Queer-Studies in den Blick nahmen und deren Erklärungskraft hinsichtlich Geschlecht, Sexus, Körper in Frage stellten.
Dabei scheinen Butler und Hark ihr Fach und die daran geknüpften außeruniversitären und szenepolitischen Debatten nicht zu überblicken. Denn in der Tat sind die von Butlers Theorie des performativen Körpers abgeleiteten (und reduzierten) Behauptungen einer sprachlichen Konstruktion von Geschlecht, Geschlechtsidentität und Körper zu einem unhinterfragten Schema erstarrt, das beinah jede/r im ersten Semester Geistes- oder Sozialwissenschaften abspulen kann. Auch dem sprachpolitischen Gendern und den penetrant vorgetragenen Deklarationen der vermeintlich ohne weiteres modulierbaren Geschlechtsidentität liegt dieses Erklärungsschema zugrunde. Dabei geht diesen Haltungen in der Regel weder eine fundierte Auseinandersetzung mit Butlers Theorie, noch eine Bezugnahme auf widersprechende Erkenntnisse aus Psychoanalyse, Sexual- und Sozialisationsforschung voraus.
Im Vortrag möchte ich einen kritischen Blick auf Butlers Theorie des performativen Körpers und auf ihr Verständnis von Sprache werfen. Dabei werde ich entlang der Erkenntniskritik Theodor W. Adornos zeigen, dass Butlers Theorie in einer Hypostase der Vermittlung mündet, in der ein ›Vorrang des Objekts‹ und eine Eigengesetzlichkeit der (inneren) Natur ausgeblendet werden. Davon ausgehend werden unter Bezugnahme auf die sog. Kritische Theorie des Subjekts wichtige Argumente gegen einen strukturellen Vorrang der Sprache angeführt. Dafür werde ich in einer psychoanalytisch-materialistischen Perspektive am Gegenstand der frühkindlichen Entwicklung die gesellschaftliche bzw. sozialisatorische Vermittlung von Trieb, Körper und Geschlecht erörtern. Hierbei stehen Aspekte des Leiblichen im Mittelpunkt, die nicht in Sprache aufgehen und Bedingungen ihrer Verleiblichung und Somatisierung darstellen. Mit einigen Ausblicken auf den Zusammenhang von Leiblichkeit und Vernunft, mit dem sich im Begriff geistiger Erfahrung und entgegen der Kritik von Habermas durchaus ein ›normativer Standpunkt‹ der Kritischen Theorie innerhalb der Totalität instrumenteller Vernunft angeben lässt, soll der Vortrag schließen.
Michael Schüßler studierte und promovierte im Fach Soziologie. Er beschäftigt sich im Rahmen der älteren Kritischen Theorie u. a. mit dem Gegenstand des Leib-Körpers, mit der gesellschaftlichen Naturbeherrschung am Menschen und der sozialisatorischen Entwicklung autoritärer Einstellungen. In Kürze erscheint seine Dissertation: Die Sprachen des Leibes und die Leiblichkeit der Sprache. Aspekte der Kritischen Theorie des Körpers.Der Vortrag findet via Zoom statt, eine Anmeldung ist nicht notwendig. Link zur Veranstaltung: https://wwu.zoom.us/j/67624716844Meeting-ID: 676 2471 6844