Statement der „Veranstaltungen zur Ideologiekritik“ zur Beendigung der Kooperation mit dem AStA der Universität Münster vom 07.12.2020
Nach nunmehr über sechs Jahren gemeinsamer Arbeit haben wir als „Veranstaltungen zur Ideologiekritik“ die Kooperation mit dem AStA am Montag, den 16.11. einseitig und mit sofortiger Wirkung beendet. Trotz der Aufkündigung der Kooperation unsererseits beschloss das AStA-Plenum am 17.11. mehrheitlich, „das Projekt Veranstaltungen zur Ideologiekritik in seiner jetzigen Form nicht weiter zu fördern.“ Der Antrag wurde dabei vom neu gegründeten autonomen Referat für Black People, Indigenous People und People of Color (BIPoC-Referat) sowie einem Referenten des Referats für Kultur, Diversity, Feminismus und Politische Bildung gestellt, der zuvor für die Betreuung unserer Projektstelle zuständig gewesen war. Dieser Beschluss war in mehrfacher Hinsicht fragwürdig: Zum einen, weil die fast dreistündige Debatte unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand und die Abstimmung über den Antrag geheim erfolgte, sodass keinerlei Transparenz über die Gründe und den Ablauf der Debatte vorliegen. Zum anderen, weil der Antrag jeglicher Grundlage entbehrte: Unsererseits war das Projekt am Tag zuvor aufgekündigt worden, die Förderung der Projektstelle seitens des AStA war bereits Ende Oktober ausgelaufen, sodass der Antrag an sich gegenstandslos war. Mit dem Beschluss des Antrags hat der AStA noch einmal unterstrichen, was sich in den vorangegangenen Monaten bereits andeutete: Eine inhaltliche Debatte mit uns war nicht erwünscht, unser Ausschluss sollte unter allen Umständen erfolgen. So verwundert es auch nicht, dass der AStA in einer Instagram-Story nach der Sitzung ankündigte, die interne Aufarbeitung der Vorfälle werde in den kommenden Wochen erfolgen. Wir bedauern sehr, dass und vor allem wie es zu diesem Schritt gekommen ist und möchten dies in der vorliegenden Stellungnahme darlegen.
Prolog: Vortrag mit Koschka Linkerhand am 04.12.2019
Am 04.12.2019 veranstalteten wir gemeinsam mit dem autonomen Frauen*Referat einen Vortrag mit Koschka Linkerhand zum Thema „Nestbeschmutzerinnen – Thesen zu einer feministischen Islamkritik“. Bereits im Vorfeld der Veranstaltung gab es einige Kritik an der Durchführung der Veranstaltung in der „Baracke“, die darauf zurückzuführen ist, dass Zweifel daran bestand, dass im Rahmen des Vortrags der Eigenanspruch an den „Safe Space“ Baracke gewährleistet werden könne, weshalb wir nach einigen Gesprächen die Räumlichkeit wechselten, auch wenn wir zu der Befürchtung keine inhaltliche Veranlassung sahen. Inhaltliche Kritik oder gar die Forderung nach einer Absage der Veranstaltung kamen in diesem Zuge nicht auf, es ging allein um die Angemessenheit des Veranstaltungsorts. Am Tag vor der Veranstaltung veröffentlichten einige Einzelpersonen über die Facebook-Seite der queerfeministischen Gruppe Gegen Grau eine Kritik an Koschka Linkerhand und riefen zu einem Protest gegen den Vortrag auf, der am Veranstaltungstag durchgeführt auch stattfand. Nur wenige der Protestierenden gingen der Einladung nach, an der Veranstaltung teilzunehmen und ihre Kritik dort zu artikulieren. In einer ausführlichen Diskussion konnten viele der Kritikpunkte durch ausführliche Antworten und Klarstellungen der Autorin ausgeräumt werden, sodass sich der Eindruck einstellte, die Differenzen seien weitestgehend beigelegt. So teilte eine Kritikerin am Ende der Veranstaltung sinngemäß mit, sie sehe zwar deutliche Unterschiede zwischen ihrer eigenen und Koschka Linkerhands Herangehensweise an feministische Kämpfe, könne jedoch die vorgebrachten Anschuldigungen nicht weiter aufrechterhalten. Als auch im Nachhinein Einzelpersonen, die nicht an der Veranstaltung teilgenommen hatten, sich weiterhin mit Kritik an den AStA wendeten, boten die Veranstalter*innen gemeinsame Gespräche zur weiteren Klärung an. Das Angebot dazu wurde bereits am Ende des Vortrags allen Anwesenden unterbreitet. Dieses wurde von Seiten der Kritiker*innen nicht angenommen. Mit der einstimmigen Verlängerung der Projektstelle im AStA-Plenum [1] war für uns deutlich, dass dieser Prozess politisch beendet war und zu diesem Zeitpunkt keine weiteren Vorwürfe gegen uns im Raum standen.
Entwicklung im Sommer/Herbst 2020
Im Sommer 2020 plante das kurz zuvor neu gegründete BIPoC-Referat gemeinsam mit dem uns betreuenden Referat für Kultur, Diversity, Feminismus und Politische Bildung sowie weiteren studentischen Akteur*innen eine Vortragsreihe zum Thema Rassismus. Da Rassismuskritik auch ein wesentliches Thema und Anliegen unserer Arbeit ist, wandten wir uns an das uns betreuende Referat und boten eine Veranstaltung im Rahmen der Reihe an. Am 20.08. wurden wir der Whatsapp-Organisationsgruppe hinzugefügt, bei der 3. Sitzung der Gruppe am 24.08. schlugen wir eine Lesung der Autorin Ronya Othmann zu ihrem Buch „Die Sommer“ vor, das den Genozid an Jesid*innen und rassistische Diskriminierung innerhalb von Minderheiten thematisiert. Eine Woche später wurde die Arbeit der Gruppe plötzlich eingestellt. Das Referat für Kultur, Diversity, Feminismus und Politische Bildung teilte uns mit, dass das BIPoC-Referat eine Zusammenarbeit mit uns und anderen Gruppierungen kritisch sehe. Während uns die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, als AStA-Projektstelle Stellung zu den Vorwürfen zu beziehen, wurde die studentische Initiative Weitblick von den Referaten schlichtweg ausgeschlossen. Bereits an dieser Stelle stimmte es uns befremdlich, dass ein eventueller Ausschluss nicht innerhalb der gesamten Organisationsgruppe diskutiert wurde, sondern von den AStA-Referaten beschlossen wurde. Auch wenn die AStA-Statuten einen solchen Ausschluss ermöglichen, entspricht dies nicht unserem Verständnis politischer Bündnisarbeit.
Da die Kritik des BIPoC-Referates bis zu diesem Zeitpunkt nicht direkt an uns herangetragen wurde, beschlossen wir, den Konflikt zu klären und nahmen unsererseits Kontakt zu diesem Referat auf. Am 04.09. versendeten wir deshalb folgende E-Mail:
„Liebe [Referentinnen],
vom Referat für Kultur, Diversity, Feminismus und politische Bildung haben wir erfahren, dass von eurer Seite aus Bedenken bezüglich einer Zusammenarbeit mit uns als Projektstelle im Rahmen der Antirassismuskampagne geäußert wurden. Leider ist uns dabei noch nicht ganz klar geworden, worauf sich eure Kritik an uns genau bezieht, bzw. haben wir diese bisher nur vermittelt über das Referat wahrgenommen. Da wir uns nun nicht spekulativ äußern möchten bitten wir euch darum, eure Kritik an uns direkt zu artikulieren. Als Individuen und Veranstaltungsreihe mit emanzipatorischem Anspruch, die sich gegen jegliche Diskriminierungsformen ausspricht, werden wir uns mit der Kritik selbstverständlich beschäftigen und sind auch gerne bereit, uns in Gesprächen mit euch darüber auseinanderzusetzen. Wenn ihr möchtet, können wir also auch gerne möglichst bald ein – hoffentlich klärendes – Treffen zum Gespräch vereinbaren.“
Als Antwort erhielten wir einen Terminvorschlag des Referats mit der Ankündigung, dass auch der Arbeitskreis Postkolonialismus an dem Gespräch teilnehmen werde. Da sich in der Mail keine Hinweise bezüglich der Kritik an uns befanden, fragten wir in einer zweiten Mail noch einmal explizit nach den Vorwürfen:
„Könntet ihr vielleicht kurz zusammenfassen, worum es ungefähr gehen wird? Dann könnten wir uns dazu auch schonmal ein paar Gedanken machen.“
Darauf folgte die Bestätigung des Termins ohne Konkretisierung der inhaltlichen Punkte, über die man sprechen wollte mit dem Verweis darauf, dass die Initiierung des Gesprächs von uns ausging. In einer weiteren E-Mail fragten wir deshalb explizit nach, ob es um den Vortrag Koschka Linkerhands gehe, da dies zuvor vom Referat für Kultur, Diversity, Feminismus und Politische Bildung an uns herangetragen wurde. Dies wurde in einer letzten Antwort vor dem Treffen mit dem Zusatz, dass es auch um den Umgang mit der Kritik an besagtem Vortrag gehen solle, bejaht. Weitere Punkte, über die man sprechen wollte, wurden nicht expliziert.
Am 15.09. fand schließlich das Gespräch mit den Referent*innen des BIPoC-Referats und dem AK Postkolonialismus statt. Das Gespräch, zu dessen Beginn die Vorwürfe nach wie vor nicht konkret artikuliert worden waren, stellte sich als nicht konstruktiv heraus. Der Grund dafür liegt unseres Erachtens in einer inhaltlichen Differenz bezüglich der Begriffe Rassismus und Trans*-feindlichkeit (bzw. der Struktur von Diskriminierung generell), bei der wir einen kritisch-materialistischen Ansatz verfolgen. Zu Beginn des Gesprächs schilderten wir noch einmal das Vorgehen und die Auseinandersetzung mit der Kritik an Koschka Linkerhands Vortrag, wie sie oben nachlesbar ist. Daraufhin griffen wir die Kritik an Koschka Linkerhand, wie sie von Gegen Grau formuliert worden war, auf und erwiderten diese überwiegend anhand von Textbelegen aus Koschka Linkerhands Essays, da wir an dieser Stelle nicht anstelle der Autorin sprechen wollten, auf deren Rücken die gesamte Debatte ausgetragen wurde und wird und die dabei nicht die Möglichkeit hatte, selbst zu Wort zu kommen.
Leider wurde eine inhaltliche Debatte unserer Differenzen im gemeinsamen Gespräch mit dem BIPoC-Referat sowie der Projektstelle Postkolonialismus nicht geführt, da uns bereits nach unseren ersten Erwiderungen erklärt wurde, man wolle eine solche inhaltliche Debatte am Gegenstand nicht führen, da die ‚rassistischen und trans*-feindlichen‘ Punkte der kritisierten Autorin Koschka Linkerhand offensichtlich seien. Diese Offensichtlichkeit musste scheinbar nicht weiter begründet werden, obwohl sich die Lage für uns anders darstellt und Koschka Linkerhand sich in ihren Texten sehr wohl differenziert mit diesen Vorwürfen auseinandersetzt, sich darin für die Rechte und Anerkennung von Trans*-Personen einsetzt und antimuslimischen Rassismus als ein bedeutsames Problem der deutschen Mehrheitsgesellschaft kritisiert, das es zu bekämpfen gilt. Diese Aussagen scheinen jedoch keine Geltung zu haben. Auf unseren Einwand, man habe sich (wie es einige Kritiker*innen getan haben) während der Veranstaltung mit Koschka Linkerhand auseinandersetzen und mit ihr diskutieren können, wurde erwidert, dass man an der Veranstaltung nicht teilnehmen wollte, da diese potentiell rassistische und transphobe Äußerungen reproduziere, denen man sich dann ausgesetzt sehe und damit potentiell kein sicherer Raum sei. Hier schließt sich der postmoderne Zirkel: Der Angeklagten wird aufgrund einer Unterstellung die Möglichkeit zur Stellungnahme verweigert, aufgrund einer fehlenden Stellungnahme wird jedoch zugleich die Kritik aufrechterhalten und legitimiert. Koschka Linkerhand hat so keine Möglichkeit, die Kritik zu entkräften, während die Vorwürfe gegen sie perpetuiert werden. Dass eine Auseinandersetzung mit der Kritik während des Vortrags stattgefunden hat und im Nachhinein Gesprächsangebote unsererseits vorlagen, wird hier ignoriert, wenn ein mangelnder Umgang mit der Kritik angeprangert wird. Nach diesem Gespräch war uns klar, dass ein ‚richtiger‘ Umgang mit der Kritik allein in dem selbstkasteienden Eingeständnis bestanden hätte, Koschka Linkerhand öffentlich als – im Jargon der Postmoderne – rassistische TERF zu brandmarken und uns von dem Vortrag zu distanzieren.
Im Gespräch wurde zudem deutlich, dass auch ein weiterer Vortrag von Ingo Elbe, den die Projektstelle vor über einem Jahr und vor der Übernahme derselben durch die aktuellen Veranstalter*innen organisiert hatte, Gegenstand der Kritik sei. Dass dieser Vortrag nicht von uns durchgeführt worden war, wurde im Laufe der Debatte als Argument nicht akzeptiert – der Vorwurf wurde im Folgenden immer wieder erhoben, sodass wir uns auch inhaltlich dazu äußerten. Am Ende dieses Gesprächs, als es um das weitere Vorgehen bezüglich der Vortragsreihe zu Rassismus ging, wurden wir darauf hingewiesen, dass eine Einladung Ronya Othmanns nur dann akzeptabel sei, wenn diese allein zu ihrem Buch, nicht aber zu ihrer taz-Kolumne „OrientExpress“ (gemeinsam mit Cemile Sahin) spräche. In Letzterer werde ein „US-Imperialismus“ verherrlicht, den das BIPoC-Referat und der AK Postkolonialismus ablehnten. Diese Aussage ließ uns ratlos zurück – in der Kolumne kann dies allein auf die Kritik doppelter Standards innerhalb der deutschen Linken bezüglich der Ermordung des iranischen Generals der expansionistischen islamistischen al-Quds-Brigaden, Qasem Soleimani, bezogen werden [2]. Auch waren wir empört darüber, dass beide Gruppen uns hiermit vorschreiben wollten, wen wir zu welchem Thema einladen könnten und wen nicht, da eine Einladung Ronya Othmanns zu ihrer Kolumne nicht im Rahmen der Kampagne hätte stattfinden können.
Während im Folgenden die in Planung gewesene „Antirassismuskampagne“ aufgrund des ungeklärten Streits vorläufig auf Eis gelegt wurde, erhielt das BIPoC-Referat im Rahmen eines so genannten „Open Space“ des AStA am 15.10. die Möglichkeit, sich zu der Debatte in Anwesenheit der politischen Referate, der autonomen Referate sowie des AStA-Vorsitzes zu äußern. Zu diesem Open Space waren wir nicht eingeladen, sodass dieser seinen Namen Lügen straft. Ohne vorherige Absprache mit dem AStA war außerdem eine Person vom AK Postkolonialismus bei dem Open Space anwesend und inhaltlich federführend. Im Anschluss an diesen Open Space meldete man uns zurück, dass der AK einstimmig die Empfehlung geäußert habe, das AStA-Plenum am 19.10. über die (Nicht-)Verlängerung der Projektstelle entscheiden zu lassen. Während das BIPoC-Referat in diesem Open Space im Umfang von 75 Minuten die Möglichkeit hatte, die eigene Sicht darzustellen, teilte man uns mit, dass wir, wenn wir wollten, am AStA-Plenum teilnehmen und, wenn wir dazu noch Energie hätten, auch Stellung beziehen könnten; eine lange Diskussion sollte es im Rahmen der AStA-Sitzung jedoch nicht geben. Die Möglichkeit einer eigenen Sitzung unserer Projektstelle zur Entkräftung der Vorwürfe wurde bei diesem Open Space beinahe einstimmig abgelehnt.
Im Rahmen dieses Open Space kam es zu einer verqueren Übertragung der Vorwürfe. Die Kritik an Vorträgen und dem Umgang mit dieser rückte nun an den Rand. Vielmehr wurde uns nun persönlich vorgeworfen, trans*-feindliche und rassistische Aussagen in dem Gespräch getätigt zu haben. Von dritten Personen, die an dem Open Space beteiligt waren, erfuhren wir, dass diese Vorwürfe weder belegt noch konkretisiert wurden, da eine Wiederholung der Aussagen diese erneut reproduzieren würde. Nun sollte sich unser Vertrauen in eine friedliche Klärung im Rahmen des gemeinsamen Gesprächs vom 15.09. als großer Fehler herausstellen: Da wir vor dem Gespräch davon ausgegangen waren, inhaltlich über die Vorwürfe diskutieren und die Debatte womöglich sogar beilegen zu können, hatten wir auf die Möglichkeit verzichtet, eine unabhängige Person zum Gespräch hinzuzuziehen. Nun stand also diese unbegründete Aussage im Raum, für die es jedoch auch keine Zeug*innen gab. Doch damit nicht genug: Im Verlauf der Diskussion um die Projektstelle zeichnete sich ab, dass der Projektstelleninhaberin abgesprochen wird, rassifiziert und diskriminiert zu werden. Ihre von der Erwartung des BIPoC-Referats und des AK Postkolonialismus abweichende Position wurde in ihrer Abwesenheit auf Nachfrage im Rahmen des Open Space vom 15.10. damit begründet, dass ‚es ja so etwas wie internalisierten Rassismus‘ gebe. Dies zeigt, welch instrumenteller Umgang mit PoC sich vonseiten des BIPoC-Referats und des AK Postkolonialismus abzeichnet. Wir kritisieren die Unfähigkeit der beim Open Space vom 15.10. anwesenden AStA-Mitglieder (mit Ausnahme einer Person), einschließlich der zuständigen Referent*innen für Kultur, Diversity, Feminismus und Politische Bildung, die Projektstelleninhaberin über diesen Vorfall in Kenntnis zu setzen.
In Anschluss an die beschlossene Vertagung der Abstimmung über die Förderung unserer Projektstelle im AStA-Plenum vom 16.10. wurde uns in diesem zähen Prozess ein Open Space am 29.10. zugestanden, bei dem uns zum ersten Mal in der Debatte die Möglichkeit eingeräumt wurde, unsere Sicht der Dinge vor den Mitgliedern des AStA darzulegen. Diese nutzten wir, indem wir ein Statement verlasen, das näher auf die Kritik einging und sich vor allem auf die nach wie vor nicht vorliegende konkrete Kritik an der Projektstelle sowie die mangelnde Transparenz im Umgang mit der Debatte bezog.
Trotz Anwesenheit mindestens einer Person des BIPoC-Referats und einer Person des AK Postkolonialismus kam es zu keinem Zeitpunkt zu einer Echtzeit-Diskussion, obwohl eine Person des AStA-Vorsitzes ihre Verwirrung über das gesamte Procedere äußerte. Dies machte besagte Person daran fest, dass aus unserem Statement die Forderung einer Diskussion über Inhalte hervorgehe, während das BIPoC-Referat und der AK Postkolonialismus eine solche Diskussion nicht führen wollten, da sie lediglich unseren Umgang mit der Angelegenheit kritisieren würden. Wir entgegneten, dass auch nach zwei Monaten die Vorwürfe nicht direkt an uns gerichtet worden waren und verwiesen auf den Umstand, dass es zu der ersten Interaktion zwischen dem BIPoC-Referat, dem AK Postkolonialismus und uns im Rahmen der Planung der „Antirassismuskampagne“ kam. Deshalb forderten wir dazu auf, die Vorwürfe zu konkretisieren. ‚Um nicht weiter Druck auf das BIPoC-Referat zu erhöhen‘ wurde die Frage der AStA-Vorsitzenden und unsere Aufforderung von einer anderen anwesenden Referentin abgewiesen. Das BIPoC-Referat bezog sich zudem darauf, dass dieser Open Space nun „für uns [also die Veranstaltungen zur Ideologiekritik]“ sei und sie sich an dieser Stelle nicht äußern wollten. Wieso sie anwesend waren, während unsere Anwesenheit in ihrem „Open Space“ nicht erwünscht war, bleibt uns schleierhaft. Damit war die Frage nach konkreten Vorwürfen nach wie vor unbeantwortet. Wir erhielten außerdem die Information, dass das BIPoC-Referat auch ein Statement aufsetzen und AStA-intern zirkulieren lassen und somit die von uns bemängelte asynchrone Kommunikation weitergeführt werden würde.
Im Nachgang dieses Open Space verlas das BIPoC-Referat im AStA-Plenum vom 02.11. sein Statement. Obwohl mindestens ein AStA-Referent, mit dem wir in Kontakt standen, Bescheid wusste, dass das Statement vorbereitet wurde und vermutlich im AStA-Plenum verlesen werden würde, wurden wir nicht vorab darüber in Kenntnis gesetzt. Da unsere Projektstelle – wie uns vorab auf Anfrage bestätigt wurde – bei besagtem AStA-Plenum nicht auf der Tagesordnung stand, nahmen wir auch nicht an dem Plenum teil. Erst am Nachmittag des 02.11. erfuhren wir, nicht etwa von unserem betreuenden Referat, sondern vom Referat für Nachhaltigkeit und Mobilität, dass das BIPoC-Referat das Statement verlesen hatte und erhielten dieses erst auf Nachfrage vom Nachhaltigkeitsreferat.
Da sich uns der Eindruck aufdrängte, mit zunehmender Dauer des Prozesses immer weniger Informationen und Interna zu erhalten und wir noch immer nicht absehen konnten, wie die Stimmung im AStA bezüglich der Abstimmung aussah, beschlossen wir im Folgenden, selbst Kontakt zu einzelnen Mitgliedern der Koalitionslisten aufzunehmen. Am 04.11. wurde in einer Sitzung von CampusGrün über unsere Projektstelle diskutiert. Dabei wurde unseren Informationen zufolge ein Stimmungsbild eingeholt, das (mit einer einzigen Enthaltung) eindeutig gegen uns ausfiel. Am 05.11. fragten wir den für uns zuständigen Referenten (CampusGrün) explizit nach den Ergebnissen der Sitzung. Dabei sagte er uns, dass es in jedem Falle zu einer Enthaltungsmehrheit käme. Die entsprechende Regel in der Geschäftsordnung des AStA besagt, dass bei einer Enthaltungsmehrheit in einer zweiten Abstimmung eine einfache Mehrheit ausreicht, worauf wir das Referat selbst hingewiesen hatten. Die Aussage, dass es zu einer Enthaltungsmehrheit kommen könnte, war jedoch nur die halbe Wahrheit. Von anderen Personen, die bei der Sitzung anwesend waren, erfuhren wir im Nachhinein, dass CampusGrün sich entschieden hatte, in der ersten Abstimmung eine Enthaltungsmehrheit herbeizuführen, in der zweiten jedoch überwiegend gegen den Antrag zu stimmen. Sollte dies ein Zeichen der Pietät uns gegenüber darstellen, so ist anzumerken, dass es umso verlogener ist, zunächst eine versöhnliche Enthaltungsmehrheit anzudeuten, nur um den Antrag in der zweiten Abstimmung umso eindeutiger abzuschmettern. Am 06.11. telefonierten wir mit einem Mitglied von CampusGrün, das uns über den tatsächlichen Verlauf der Debatte informierte und sich selbst erstaunt zeigte, dass uns die eindeutig sich anbahnende Ablehnung einer Verlängerung nicht mitgeteilt wurde.
Im Gespräch vom 05.11. wurde uns zudem mitgeteilt, dass die Juso-HSG eine weitere Vertagung der Abstimmung wünsche, da es noch offene Fragen gebe. Wir wurden dabei vom betreuenden Referat gefragt, was wir von diesem Vorgehen hielten. Da es in unserem Sinne ist, alle Zweifel restlos auszuräumen und Gespräche zur Klärung der Situation zu führen, haben wir am Tag darauf dem Wunsch nach Vertagung (der nicht von uns ausging) zugestimmt. Daraufhin wurde uns vom betreuenden Referenten signalisiert, dass er eine weitere Vertagung unter diesen Umständen ablehne und dieser nur zustimme, wenn das BIPoC-Referat diese ebenfalls wünsche. Im gleichen Zuge wurde ein ‚neuer Antrag‘ angekündigt, der nicht nur die aktuelle Förderung der Projektstelle, sondern eine Positionierung zur Veranstaltungsreihe insgesamt beinhalten könne. Während zuvor zumindest auf dem Papier lediglich die Verlängerung der Projektstelle infrage stand, sollte nun also ein weitreichender Antrag gestellt werden, der uns auch jegliche zukünftige Zusammenarbeit mit dem AStA (zumindest in der aktuellen Legislatur) verunmöglichen sollte. Mit der am 17.11. abgestimmten Formulierung wurde ein solcherart verschärfter Antrag gestellt. Nach dem Telefonat Anfang November beschlossen wir, dass eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem uns betreuenden Referat auch bei einer für uns positiv ausfallenden Abstimmung nicht gewährleistet sein kann und brachen den Kontakt zu diesem Referat ab.
Aufgrund der mangelnden Inhalte der Vorwürfe, des gesamten Vorgehens, der Informations- und Betreuungslage und auch einer fehlenden Entschuldigung bezüglich unbegründeter Anschuldigungen gegen uns als Personen haben wir deshalb noch vor der Sitzung am 17.11. beschlossen, die Kooperation nicht zu verlängern. Mit unserem Rückzug aus der Projektstelle verbanden wir in unserer Mail vom 16.11. ein vierzehn Seiten umfassendes Statement, in dem wir uns noch einmal bezüglich aller (halbartikulierter) Vorwürfe äußerten.
Im Folgenden werden wir die gegen uns vorgebrachten Vorwürfe – wie wir sie aus den fragmentarischen Aussagen interpretieren – Gegenargumente vorbringen und diese entkräften.
Vorwurf 1: Koschka Linkerhand und Ingo Elbe beschäftigen sich nicht mit Antirassismus
Der zuerst geäußerte Vorwurf an uns lautete, dass wir mit Ingo Elbe und Koschka Linkerhand Autor*innen eingeladen haben, die sich gegen jeglichen Antirassismus aussprächen (Ingo Elbe) respektive selbst antimuslimischen Rassismus reproduzierten (Koschka Linkerhand). Dabei wurden vor allem die Ankündigungstexte der Referent*innen kritisiert, die den Inhalten und Zielsetzungen des BIPoC-Referats widersprächen.
Ingo Elbes Vortrag „‚It‘s not systemic…‘. Antisemitismus im akademischen Antirassismus“ [3], den dieser am 01.07.2019 unter dem damaligen Arbeitstitel „Antirassismus als Weltanschauung – eine Kritik“ hielt, verfehle im Ankündigungstext [4] eine Kenntlichmachung, dass Antirassismus nicht per se abzulehnen sei. Vortragstitel und Ankündigungstext wiesen vielmehr darauf hin, dass Antirassismus insgesamt als Weltanschauung ideologisch und deshalb zu kritisieren und abzulehnen sei, so der Vorwurf.
Dabei ist es bereits ausreichend, sich allein den kritisierten Ankündigungstext durchzulesen, um diese Vorwürfe zu widerlegen. Dort heißt es bereits im ersten Satz:
„Antirassistische Theoriebildung sollte den Anspruch haben, ein ebenso verbreitetes wie vielgestaltiges Herrschaftsphänomen zu analysieren und Möglichkeiten seiner Abschaffung aufzuzeigen.“
Der Satz kennzeichnet das Anliegen des Vortrags zunächst als Kritik: Antirassistische Theoriebildung erfüllt den an sie gestellten und selbstgesetzten Anspruch nicht. In der Kritik liegt zugleich jedoch auch ein Postulat: Antirassistische Theoriebildung soll und kann diesen Anspruch erfüllen, wenn sie die Kritik ernst nimmt, reflektiert und in sich aufnimmt. Weiter heißt es:
„Es stellt sich – und zwar bei führenden Vertreterinnen und Vertretern des Antirassismus weltweit – allerdings heraus, dass Antirassismus zur Weltanschauung mutiert ist […].“
Ingo Elbe greift der Kritik hier bereits voraus: Wohl wissend, dass die postmoderne Theoriebildung die Abstraktion der geläufigsten und verbreitetsten Strömungen des Antirassismus unter dem Begriff des Antirassismus nicht duldet, wird hier darauf hingewiesen, dass es um die „führenden Vertreterinnen und Vertreter des Antirassismus weltweit“ gehen wird. Diese hätten mit ihren akademischen Ausführungen dafür gesorgt, dass „Antirassismus zur Weltanschauung mutiert ist“. Auch hier findet sich die Betonung der Kontingenz: Antirassismus muss und darf keine Weltanschauung sein, er ist es jedoch in weiten Teilen geworden. Im Ankündigungstext geht Ingo Elbe auf die Folgen dieses genealogischen Wandels ein:
„So gehören vor allem die Dethematisierung des politischen Islams und die antizionistische Agitation gegen Israel inzwischen zum guten Ton vieler antirassistischer Theoretikerinnen und Theoretiker sowie Aktivistinnen und Aktivisten.“
Eben das Ausblenden dieser beiden wichtigen Dimensionen, die nur allzu oft in engem Zusammenhang stehen – also Dethematisierung des politischen Islam bei gleichzeitigem Antisemitismus, der auf den Staat Israel übertragen wird –, rechtfertigen unter anderem eine Bezeichnung antirassistischer Theorien als Weltanschauung: Nicht die tatsächlichen Verhältnisse, deren Entstehung und Veränderung bilden die Grundlage dieses Antirassismus, sondern feste Glaubenssätze. All dies kann man dem Ankündigungstext entnehmen, der den Vorwürfen des BIPoC-Referats bereits deutlich widerspricht. Dass Antirassismus und Rassismuskritik nicht dasselbe sind, Antirassismus vielmehr eine – und zwar die aktuell wohl wirkmächtigste – Strömung der Rassismuskritik darstellt, wie man im Vortrag erfahren kann, ist dem BIPoC-Referat entgangen.
Damit ist noch nichts über den Inhalt des Vortrags gesagt, der ohnehin nie Gegenstand der Kritik war. Kritik jedoch muss sich auf einen konkreten Gegenstand beziehen. Allein am Ankündigungstext und an der Person Ingo Elbes wurde hier festgemacht, dass der Vortrag nicht in das Bild des BIPoC-Referats passt. Dabei zeigt Ingo Elbe im Vortrag deutlich, wie Kritik geübt werden muss: Im engen Abarbeiten am Gegenstand, der hier die akademisch-antirassistische Theoriebildung vor allem bei Edward Said, Judith Butler und an diese anschließende Akademiker*innen darstellt, deren Texte Ingo Elbe in einer dichten und mit vielen Originalzitaten belegten Kritik auseinandernimmt [5]. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit seinen Texten und Argumenten wäre sicher fruchtbar – über diese kann man streiten, nicht aber darüber, ob der Vortrag allein aufgrund der Kritik der führenden antirassistischen Theorien selbst rassistisch ist – diese Umkehrung entspringt der Logik des „Nestbeschmutzens“, in der die Kritik an der ‚gemeinsamen Sache‘ plump in einen Angriff auf diese Sache umgewandelt und die Kritik selbst dethematisiert werden kann.
„Nestbeschmutzerinnen – Thesen einer feministischen Islamkritik“ [6] lautete auch der Titel des Vortrags von Koschka Linkerhand, der auf genau dieses Phänomen in einem anderen Kontext hinweist. In diesem verweist die Autorin wesentlich auf den Ausschluss von (Ex-)Muslima, deren Aussagen ihrem Text zugrunde liegen, aus linken Kreisen, sobald diese sich erdreisten, Religionskritik am Islam zu üben. Dabei macht sie in einer Differenzierung, die sonst bei nur wenigen Autor*innen zu finden ist, die Differenz von Islamkritik und antimuslimischem Rassismus deutlich. Letzterer wird von Koschka Linkerhand nämlich keineswegs einfach ignoriert, wie ihr vielfach vorgeworfen wird. Werfen wir einen Blick in den kritisierten Ankündigungstext. Dort heißt es zu Beginn:
„Eine feministische Kritik an Islam und Islamismus bewegt sich in einem hochexplosiven Spannungsfeld: Einer sich barbarisierenden deutschen Gesellschaft, deren Rassismus sich deutlich auf MuslimInnen fokussiert, steht eine breit aufgestellte Linke gegenüber, die Rassismus kritisiert, aber die frauenfeindlichen Missstände in muslimischen Ländern und Communitys nicht wahrhaben will und mit Sprechverboten und bedingungsloser Solidarität für die Unterdrückten operiert, gleich welchen Geistes Kind sie sind.“[7]
Auch Koschka Linkerhand ist sich der Debatten der Postmoderne durchaus bewusst und nimmt diese reflektierend in ihre Texte auf. Sie begibt sich als eine der wenigen deutschsprachigen Autorinnen direkt in dieses Spannungsfeld hinein, wohl wissend, dass die deutsche Linke Rassismus nur zu gerne gegen Islamismus ausspielt. Der Vorwurf des Islamismus wird hierbei immer schon als rassistisch gebrandmarkt, da als muslimisch gelesenen Personen dieser in ihrem Alltag entgegenschlägt. Natürlich stimmt es, dass diese Menschen teilweise darunter leiden, auf offener Straße aufgrund ihres Aussehens als Islamisten beschimpft zu werden. Mit dieser simplen Gleichsetzung von Islamismuskritik und Rassismus aber werden der Islamismus und dessen Wurzeln im politischen Islam verleugnet und verdrängt. Koschka Linkerhand unternimmt in ihren Texten den Versuch, nicht das eine gegen das andere auszuspielen (wie es übrigens auch die alte und neue Rechte in einfacher Umkehrung der Linken tun), sondern gerade die Nuancen herauszuarbeiten. Das bedeutet, dass sie antimuslimischen Rassismus ebenso kritisiert wie Islamismus und das überall dort, wo sie auftreten. Dass die Kritiker*innen Koschka Linkerhands differenzierte Auseinandersetzung mit dem Begriff des antimuslimischen Rassismus, der zwischen berechtigtem Anspruch und Tarnbegriff der Gegner einer Islamkritik changiert, nicht kennen, ist nur zu verständlich – die Viertelstunde, die sie in ihrem Vortrag auf eine Begriffsschärfung verwendete, erreichte die Kritiker*innen nicht, da diese eben nicht im Raum waren. Koschka Linkerhand schreibt dazu selbst:
„Du hast natürlich Recht, wenn du darauf pochst, wie sehr der antimuslimische Rassismus hierzulande wütet, und dass es mehr denn je darauf ankommt, ihn anzugreifen und bloßzustellen, wo immer es geht. Ich stimme dir auch zu, dass gesellschaftliche Entwicklungen wie die Verschiebung von Reproduktionsarbeit weg von der weißen Hausfrau und hin zu schlecht bezahlten Migrantinnen einbezogen und kritisiert werden müssen. (Es bleibt allerdings zu fragen, inwieweit dies ausgerechnet weißen Feministinnen anzulasten ist statt dem rassistischen Patriarchat als Ganzem, in dem auch weiße Frauen beileibe nicht die handlungsmächtigsten Akteure sind.) Was ich mir aber energisch verbitte, ist der Vergleich mit dem rassistischen Bevölkerungspolitiker Sarrazin. Dieser Vergleich ist ein gutes Beispiel, wie sehr ein Antirassismus, der sich allein damit begnügt, Diskurse zu analysieren, an der Wirklichkeit vorbeigeht. Die Frauenunterdrückung, die in islamischen Communitys stattfindet, ist leider ebenso Realität wie die ideologische Reaktionsbildung von NazipolitikerInnen und NazibürgerInnen. Dass deutsche Chauvinisten im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise plötzlich ihren Feminismus entdecken und gegen angeblich frauenunterdrückende EinwanderInnen hetzen, während Mutti ihnen zu Hause das Mittagessen kocht, ist eben kein hinreichender Grund dafür, sich nicht mit dem niederträchtigen Frauenbild zu beschäftigen, das der politische Islam propagiert und das Realität an vielen deutschen Schulen und in vielen auch in Deutschland lebenden Familien ist.“ [8]
„Abschließend sei gesagt, dass ich den Begriff des antimuslimischen Rassismus durchaus für sinnvoll halte – obwohl er häufig analog dem der Islamophobie benutzt wird, nämlich um Islamkritik grundsätzlich zu denunzieren. Dennoch lässt sich die grassierende Feindlichkeit, wie sie am offensivsten Pegida, die AfD und die Anzünder von Flüchtlingsheimen hegen, als spezifisch gegen MuslimInnen als solche gerichteter Rassismus beschreiben: Der Islam wird zum großen Gegenspieler des heimischen Abendlandes halluziniert, das von den fremden Sitten und Gebräuchen, die den muslimischen Zuwanderern unabänderlich zu eigen wären, überrannt werde. Der Rassismus argumentiert also nicht mehr nur biologistisch, sondern auch er hat einen cultural turn vollzogen. Ideologiekritisch betrachtet, haben antirassistische Queerfeministinnen – die in der Flüchtlingshilfe durchaus Gutes tun – wenig entgegenzusetzen, wenn NazibürgerInnen die islamische Religionszugehörigkeit zum „rassischen“, d. h. unveräußerlichen Merkmal von MigrantInnen besonders aus dem Nahen Osten erklären.“ [9]
Für beide Autor*innen gilt, dass wir ihnen und ihrer eingehenden und fundierten Auseinandersetzung und Kritik mit diesen wenigen Worten nicht gerecht werden können. Wer die Texte liest und studiert, sollte jedoch mit Leichtigkeit feststellen können, dass diese in einzelnen Punkten sicher streitbar sind – und sein sollen –, diese Punkte aber alle nicht unter einen konkreten Begriff von Rassismus gefasst werden können, dessen Ausführung seitens des BIPoC-Referats in der gesamten Debatte unterblieben ist – selbst dann nicht, wenn man der These eines cultural turn im Rassismus zustimmt. Die Vorwürfe zeigen vielmehr, dass die Differenzierung der Autor*innen in der Dichte ihrer Texte und der Schlagkraft der Zitate, mit der sie diese untermauern, von einer Voreingenommenheit seitens der Kritiker*innen überlagert wird: Sätze, in denen Islamkritik geübt wird, werden von Anbeginn kritisch beäugt, während solche, in denen die Rechte kritisiert wird, überlesen werden. Alternativ werden diese in Sätze umgedeutet, die nur den Anschein einer Rassismuskritik in der deutschen Mehrheitsgesellschaft erwecken sollen. Wenn Koschka Linkerhand den antimuslimischen Rassismus kritisiert, schiebe sie dieses Argument nur vor, um umso mehr den Islam zu kritisieren, so die verquere Logik einiger Kritiker*innen.
Vorwurf 2: Weiß und westlich vs. intersektional
Das BIPoC-Referat wirft uns vor, eine weiße und westliche Position einzunehmen und setzt dagegen auf Intersektionalität. Es ist bezeichnend, dass das BIPoC-Referat und der AK Postkolonialismus an mehreren Stellen den eigenen intersektionalen Ansatz hervorheben, ohne eine entsprechende konsequente Praxis uns gegenüber an den Tag zu legen. Der Projektstelleninhaberin wurde nämlich zugleich abgesprochen, eine eigene Meinung zum Thema zu haben, die nicht der des BIPoC-Referats entspricht. Der Ausweg aus diesem Dilemma, bei dem eine Person of Color sich nicht mit postmodernen Theorien identifiziert, bestand für sie schlichtweg darin, ihr internalisierten Rassismus zu unterstellen. Einmal mehr bestätigt sich, was sich seit einigen Jahren innerhalb einer vermeintlich progressiven Linken abzeichnet: Intersektionalität endet dort, wo Personen sich nicht mit postmodernen Identitätsangeboten identifizieren, sondern auf Universalismus setzen. Mit einem Ausschluss dieser Personen wird genau das reproduziert, was Koschka Linkerhand in ihrem Aufsatz und Vortrag beschreibt: Individuen, die sich nicht mit den ihnen vorgelegten Identitätsangeboten identifizieren, sondern gerade auf die Differenz von Identität und Überzeugung pochen, werden von der überwiegenden Mehrzahl postmoderner Theorien schlicht nicht erfasst. Dadurch erfolgt ein doppelter Ausschluss: Während die Person nach wie vor rassistisch diskriminiert wird, erfährt sie auch keine Solidarität von anderen Betroffenen, sondern wird auch aus dieser Gruppe verstoßen. Äußern diese doppelt ausgeschlossenen Individuen wiederum Kritik an diesen Zuständen, die zu diesem doppelten Ausschluss führen, gelten sie schnell als „Nestbeschmutzerinnen“, die die Identität der vermeintlichen Eigengruppe verraten und denen deshalb die Zugehörigkeit zu dieser abgesprochen wird.
Mit einer solchen Politik stellt das BIPoC-Referat, das eigentlich in solchen Fällen von Diskriminierung aktiv werden sollte und dessen Einrichtung als rassismuskritische Stelle innerhalb des AStA prinzipiell begrüßenswert ist, keine Anlaufstelle für die Projektstelleninhaberin und potentiell andere ‚dissidente‘ BIPoC dar. Damit widerspricht das Referat sogar seinem selbstgesetzten Anspruch:
„Konkret vertreten wir die Interessen, Werte und Rechte aller Studierenden, die von Rassismus betroffen sind. Wir setzten uns aktiv gegen Rassismus ein und wollen betroffenen Studierenden die Möglichkeit geben, sich nicht hilflos und isoliert zu fühlen.“ [10]
Dieser Ausschluss wurde dadurch zementiert, dass nach dem zweiten Open Space vom 29.10. weder die Referent*innen des BIPoC-Referats noch der AK Postkolonialismus das persönliche Gespräch mit der Projektstelleninhaberin suchten. Eine entsprechende Stellungnahme, Distanzierung oder Entschuldigung vonseiten des BIPoC-Referats und/oder dem AK Postkolonialismus blieb bis zum heutigen Zeitpunkt aus. Es scheint, dass Intersektionalität in diesen Kontexten ideologisch verzerrt für die Legitimation von Ausschlüssen instrumentalisiert wird. So ist es nicht verwunderlich, dass die Betonung des Partikularismus zur Grundlage neuer Ausschlüsse verkommt, obwohl dieser doch eine Kritik an Ausschlüssen darstellen sollte.
Intersektionalität endet insbesondere deutlich an dem Punkt, an dem betroffene Personen jüdisch sind. Am 25.07.20 fand eine Kundgebung mit dem Titel „Nein zur Annexion“ von der Gruppe Palästina Antikolonial statt. Am 24.07.2020 wurden im Zuge der 1. Vollversammlung des BIPoC-Referats die drei Referent*innen gewählt, von denen sich mindestens zwei am 25.07.2020 auf der Seite der Kundgebung von Palästina Antikolonial aufhielten und dieser aktiv beiwohnten, wie auf Fotos der Veranstaltung zu erkennen ist. Dabei scheint es weder eine Rolle zu spielen, dass Palästina Antikolonial antizionistische und antisemitische Hetze betreibt und nicht vor einer Instrumentalisierung rassistischer Attentate in Deutschland zurückschreckt, um die Schuld an Rassismus im Wesentlichen auf die jüdische Bevölkerung Israels zu projizieren, noch – wenn das inhaltliche Argument hier aufgrund von Standpunkten nicht gelten darf – spielt die Intersektionalität und Betroffenheit von diskriminierten Personen in diesem Fall eine Rolle: Der Demonstration standen nämlich in Form der Gegendemonstration eine große Anzahl jüdischer Personen gegenüber, die den Antisemitismus der Veranstaltung kritisierten. Darüber hinaus tätigte Sharon Fehr, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Münster, in den WN [11] sowie in der Jüdischen Allgemeinen [12] deutliche Kritik an der Demonstration und ihren antisemitischen Zielen. Unter anderem wurde bei der Demonstration die terroristische Fatah als „sozialdemokratische Partei“ verharmlost; eine einseitige Schuldzuschreibung bezüglich des Nahostkonflikts an Israel war in jedem Redebeitrag deutlich hörbar, während die Rolle der offen antisemitischen und terroristischen Hamas und anderer Akteure wesentlich verharmlost wurde.
Am 29.08.2020 solidarisierte sich das BIPoC-Referat zudem auf Facebook mit Palästina Antikolonial, das von Eklat Münster [13] und dem Jungen Forum der Deutsch-Israelischen Gesellschaft [14] anlässlich der Gedenkveranstaltung vom 22.08.2020 „6 Monate Hanau – Vereint gegen Rassismus“ dafür kritisiert worden war, dass sie die Veranstaltung in Gedenken der Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau zur Selbstdarstellung und zur antizionistischen Propaganda instrumentalisierte, indem die Gruppe einen „Redebeitrag über anti-palästinensischen Rassismus“ [15] hielt. In der Stellungnahme nahm das BIPoC-Referat eine Umkehrung der Argumentation vor, in der nun Eklat vorgeworfen wird, die Gedenkveranstaltung im Nachhinein instrumentalisiert zu haben:
„Zudem empfinden wir die im Nachhinein stattfindende Instrumentalisierung der Hanau-Gedenkveranstaltung „6 Monate Hanau – Vereint gegen Rassismus“ am 22.08.2020 als äusserst unangebracht. Für die Zukunft wünschen wir uns einen respektvolleren Umgang mit solchen Gedenkveranstaltungen, sowie mit marginalisierten Personen, die bereit sind ihre Rassismuserfahrungen zu teilen.“ [16]
Dieser Versuch entlarvt sich als bloße Abwehr von Kritik durch Denunzierung. Anspruch einer antirassistischen und intersektionalen Bewegung sollte es sein, Antisemitismus zu berücksichtigen und eine Kritik an identitären Versuchen der Vereinnahmung regressiver Linker zu formulieren und diese künftig wenn möglich abzuwehren, statt das antisemitische Verhalten Palästina Antikolonials zu unterstützen.
Der Umgang mit Jüdinnen und Juden als vermeintlich „Weißen“, die auf der anderen Seite stehen und eher zu rassistischen Täter*innen gemacht denn als Betroffene von Antisemitismus und Rassismus wahrgenommen werden, ist leider keine Seltenheit. So wichtig es ist, sich mit Intersektionalität und damit mehrfachen Diskriminierungsprozessen auseinanderzusetzen, so wichtig ist es, diese nicht ausgerechnet dann aufzuheben, wenn es um die Komplexität jüdischer Identitäten geht. Auf diesen Umstand weist auch der kritisierte Vortrag Ingo Elbes – „It‘s not systemic…“ – dessen Titel sich auf die konsequente Leugnung eines systematischen, manifesten Antisemitismus in den geläufigen Theorien der Postmoderne bezieht – hin. Ingo Elbe ist damit jedoch nicht allein: Auch innerhalb der queerfeministischen postmodernen Strömung weisen Akteur*innen auf diesen Umstand hin, der dennoch noch allzu oft ignoriert wird. Dazu gehören bspw. Merle Stöver mit ihren Vorträgen („Antisemitismus in feministischen Bewegungen“ [17]), aber auch die gerade neu gegründete Gruppe Jüdisch & Intersektional [18]. Die Theorie des Intersektionalismus verspielt ihr Potential, wenn sie diese Kritik nicht in sich aufnimmt, sofern diese Ausgrenzung nicht prinzipiell in ihre Theorie eingeschrieben ist.
Nicht nur hat das BIPoC-Referat durch den Facebook-Post deutlich sein hochschulpolitisches Mandat überschritten, sondern darüber hinaus auch an einer Demonstration teilgenommen, die eindeutig von Personen mitgetragen und -organisiert wurde, die sich der BDS-Bewegung zuordnen und diese unterstützen. Palästina Antikolonial kooperiert mit BDS-Akteuren, die es zu Veranstaltungen einlädt. [19] Der StuPa-Beschluss, der im vergangenen Jahr einstimmig gegen BDS gefasst wurde [20], schien hier keine Relevanz zu besitzen – zumindest war eine Kritik daran trotz mehrerer Hinweise von uns und anderen Gruppen lange nicht wahrnehmbar. Erfreulicherweise hat der AStA am 02.12. einstimmig ein Statement zur Distanzierung von „Palästina Antikolonial“ verabschiedet [21] – von diesen Verstrickungen fehlt darin jedoch jede Spur: Der Post auf der Facebook-Seite des BIPoC-Referats ist nach wie vor existent und auch die Likes und Follows einiger Referent*innen und Referate auf Social-Media-Kanälen für „Palästina Antikolonial“ sprechen eine andere Sprache [Stand 06.12.].
Vorwurf 3: Einseitigkeit der Vorträge und mangelnde Beschäftigung mit Rassismus
Das BIPoC-Referat warf uns zu mehreren Zeitpunkten eine einseitige Beschäftigung mit der Kritik des politischen Islam und eine Vernachlässigung von Rassismus vor. Abgesehen davon, dass wir es als eine Zumutung empfinden, uns vorschreiben lassen zu sollen, mit welchen Themen wir uns im Rahmen unserer eigenen Vortragsreihe beschäftigen, ist der Vorwurf schlicht falsch. Bereits in unserem ersten Statement hatten wir auf die breite Kritik hingewiesen, die in der Vortragsreihe geübt wird:
Von Beginn der Projektstelle an leistete diese antirassistische Arbeit. Dazu gehörten in der Vergangenheit Vorträge zu modernen Hexenjagden (2014), Menschenrechten und Othering (2016), einer Kritik an PEGIDA (2016), Nationalsozialismus und Fremdenhass (2016), eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff der kulturellen Aneignung (2017), eine Kritik des Ethnopluralismus (2017), Kritik der Rassenontologie (2018), das Islambild der neuen Rechten (2018), Völkische Mobilisierung (2019), Rechtspopulismus (2019), und akademischer Antirassismus (2019). Allein deshalb wollen wir den Vorwurf zurückweisen, uns nicht mit Antirassismus zu beschäftigen. Als Projektstelle sind wir seit jeher breit aufgestellt und haben zudem Veranstaltungen zu Antisemitismus, (Anti-)Sexismus in jeglichen Ausdrucksformen, Antifaschismus, Verschwörungsideologien, Ästhetik, Kritik der Kulturindustrie, Ökologischen Bewegungen, Kritik der politischen Ökonomie und vielem mehr veranstaltet. Auch in diesem Semester verfolgen unsere Vorträge das Ziel, unter anderem antirassistische Arbeit zu leisten – dazu gehören explizit die Vorträge von Tobias Neuburger zu Antiziganismus sowie von Ronya Othmann zu ihrem Buch „Die Sommer“, implizit beziehen sich aber auch die Vorträge von Andreas Stahl und Katrin Henkelmann sowie Karin Stögner in Teilaspekten auf Rassismuskritik.
Unsere Erwiderung wurde schlicht ignoriert und der Vorwurf ein weiteres Mal erhoben. Für eine ideologiekritische Veranstaltungsreihe sollte es selbstverständlich sein, dass gerade die gängigen und wirkmächtigen Ideologien kritisiert und angegriffen werden. Dazu gehört sicherlich der Rassismus, aber eben auch der politische Islam. Gleichzeitig sehen wir unsere Aufgabe wesentlich in der Ausübung von Kritik an den Stellen, an denen sie sonst unterbleibt und gerade dort, wo ein innerlinker Konsens zu herrschen scheint. Hingegen besteht eine Veranstaltungsreihe zur Ideologiekritik explizit nicht darin, die ohnehin landauf und landab ständig wiederholten Vorträge zu gängigen Themen feilzubieten, die auch längst Einzug in sozialliberale Feuilletons und universitäre Veranstaltungen gehalten haben und ohnehin vom linken Mainstream rezipiert werden.
Vorwurf 4: Reproduktion von Rassismus durch „Tokenism“, „Überemotionalisierung“, „Definitionsmacht“ und „Mikroaggressionen“
Gerade nach dem gemeinsamen Gespräch mit dem BIPoC-Referat und dem AK Postkolonialismus wurden Vorwürfe uns gegenüber erhoben, die allesamt mit Vokabeln der postmodernen bzw. poststrukturalistischen Theorie operieren: Wir betrieben „Tokenism“, hätten die Referent*innen im Gespräch „überemotionalisiert“, die „Definitionsmacht“ über Rassismus an uns zu reißen versucht und unsere Gesprächspartner*innen „Mikroaggressionen“ ausgesetzt.
Der Vorwurf des Tokenism rührte vor allem aus der Kritik, die Statusgruppe der BIPoC an der Universität sehe eine Mitwirkung der Veranstaltungen zur Ideologiekritik an der Antirassismuskampagne des AStA als problematisch, da sie sich von uns nicht repräsentiert fühlten. Darauf erwiderten wir, dass unsere Veranstaltungen regelmäßig von Personen besucht und unterstützt werden, die selbst Teil dieser Statusgruppe sind, unsere Vorträge mit großem Interesse besuchen und ihre Positionen in deren Inhalten wesentlich besser wiedererkennen als in den Vollversammlungen und Positionierungen des BIPoC-Referats oder anderer Gruppierungen mit postmodernen bzw. postkolonialen Ansätzen. Statt diese Differenz anzuerkennen und die Selbstbestimmtheit und Subjektposition von Rassismus betroffener Personen in ihrer Unterschiedlichkeit ernst zu nehmen, wurde uns vorgeworfen, diese Personen als „Token“ zu missbrauchen, um unsere Veranstaltungsreihe gegenüber den Vorwürfen zu legitimieren. Damit schlägt das BIPoC-Referat in dieselbe Kerbe wie bei dem Vorwurf des internalisierten Rassismus gegenüber der Projektstelleninhaberin: Während alle Weißen, die das BIPoC-Referat in ihren Positionen unterstützen, Allies sind, sind alle BIPoC, die uns unterstützen, aufgrund ihres vermeintlich internalisierten Rassismus reine Token, inklusive der Projektstelleninhaberin selbst. Hier offenbart sich, dass sich die vom BIPoC-Referat vorgenommene Unterscheidung von ‚richtigen‘ und ‚falschen‘ Positionen von rassifizierten Individuen nicht an konkreten Inhalten festmacht, sondern an der Trennlinie zwischen eigenen und anderen Positionen. Zu keinem Zeitpunkt haben wir hingegen gefordert, postmoderne und postkoloniale Theorien in Veranstaltungen nicht zu unterstützen oder auszuschließen, auch wenn deutlich sein sollte, dass diese unseren Ansätzen nicht entsprechen und wir sie in vielerlei Hinsicht kritisieren. Die Entwicklung des Begriffes „Tokenism“ von einem Begriff liberaler Repräsentationspolitik hin zu einem Kampfbegriff zur Verächtlichmachung von PoC, die Identitätspolitik ablehnen, zeichnet auch Tara Falsafi kritisch nach [22]. Mit dem Vorwurf des Tokenism, so schreibt sie treffend, wird heute eben die Sprecher*innenposition, um die es postmodernen Theorien allein geht, wenn die Frage gestellt wird, wer Rassismus (und andere Diskriminierungsformen) als solchen erkennen können darf, den betroffenen Personen abgesprochen, die diesen postmodernen Duktus als den identitären Unsinn kennzeichnen, der er ist.
Daran anschließend wurde uns vorgeworfen, die Deutungshoheit über den Begriff des Rassismus an uns reißen zu wollen und in diesem Zuge den anderen Beteiligten absprechen zu wollen, selbst einen Begriff von Rassismus zu haben. Das ist nicht allein deshalb nicht tragbar, weil die Vokabeln der Deutungshoheit und des Sprechorts weitestgehend identitäre und leere Begriffe sind, sondern vor allem deshalb, weil die Erkenntnis des Rassismus, die immer in dessen Kritik besteht, nicht von diesen abhängt. Es ist eine sicher richtige Erkenntnis, dass unterschiedlich gelesene Personen unterschiedliche Erfahrungen machen. Die Erfahrungen rassifizierter Personen machen dabei ein wesentliches Moment der Realität aus, an der materialistische Theorie Kritik übt, sodass sie in diese einfließen. Das ändert jedoch nichts daran, dass Rassismus ein strukturell-gesellschaftliches und damit objektiv existierendes Phänomen ist, das auch von Personen, die nicht oder weniger von rassistischer Diskriminierung betroffen sind, erkannt werden kann. Indem wir Argumente gegen den Rassismusvorwurf vorbrachten, die diesen unseres Erachtens widerlegen, haben wir niemandem unsere „Definitionsmacht“ aufgezwängt, sondern eben ein Argument angeführt, das diskutiert werden kann. Dieser Diskussion wurde sich aber entzogen, da man sich mit Inhalten nicht beschäftigen wollte. Idealerweise hätte eine solche Diskussion dazu geführt, dass der zwanglose Zwang des besseren Arguments zu einer Begriffsschärfung in Bezug auf Rassismus bei allen Beteiligten beiträgt.
In dieselbe Kerbe schlägt der Vorwurf der Überemotionalisierung. Zu keinem Zeitpunkt haben wir die Vorwürfe oder die Diskussion als „emotional“ gekennzeichnet. Wir entnehmen dem Offenen Schreiben des BIPoC-Referats und des AK Postkolonialismus vom 02.11., dass sich dieser Punkt vor allem auf unsere Forderung bezieht, Textbelege für die Vorwürfe anzuführen, um diese zu legitimieren bzw. anhand dieser Belege darzulegen, weshalb die entsprechenden Stellen rassistisch sein sollen. Dies geschah Seitens des BIPoC-Referats nicht, stattdessen wurde wiederholt gesagt, dass die Texte Koschka Linkerhands eindeutig rassistisch seien. Da uns dies als Argument nicht ausreichte, baten wir weiterhin um Belege und Erläuterungen anstelle von Vermutungen. Dies wurde uns wahrscheinlich als „Überemotionalisierung“ ausgelegt, da wir somit die Vorwürfe als unbegründet zurückwiesen.
Auch „Mikroaggressionen“ konnten wir im Gespräch nicht verzeichnen. Für uns ist vielmehr deutlich, dass trotz des Dissenses die beteiligten Parteien in dem gemeinsamen Gespräch versucht haben, ihre Standpunkte sachlich darzulegen. Zugleich ist bei der Schwere der Vorwürfe und einer inhaltlich so aufgeladenen Debatte klar, dass in der Sache hitzig diskutiert wird. „Mikroaggressionen“ konnten wir dabei nicht erkennen.
Epilog: Nachwirkungen
Allein der im Laufe des Textes skizzierte Wandel der stets inhaltsleeren Vorwürfe zeigt die Problematik der gesamten Debatte an: Während es zunächst um Koschka Linkerhand ging, ging es plötzlich um uns, später dann um die Projektstelle an sich. Nach letzten Aussagen einiger AStA-Mitglieder soll es nun wiederum nicht um uns gehen, einige Personen vertreten trotz eindeutiger Aussagen im Statement des BIPoC-Referats, der Einladung zum ersten Open Space und den dort getätigten Äußerungen scheinbar die Meinung, dass es keine persönlichen Vorwürfe gegen uns gebe. Dass diese Vorwürfe nicht nur eine AStA-interne Angelegenheit sind, sondern auch uns persönlich treffen und dazu in der Lage sind, uns bei anderen Gruppierungen und auch an der Uni zu diskreditieren, ohne dass auch nur an einer Stelle Belege für diese persönlichen Vorwürfe angegeben wurden, schien nicht bei allen AStA-Mitgliedern angekommen zu sein.
Stimmt man den unbegründeten Vorwürfen in dieser Form zu, ergibt sich daraus jedoch ein weiteres Problem: Eine Zustimmung, die allein aus der Deutungshoheit des BIPoC-Referats heraus erfolgt und sich nicht auf konkrete Belege stützt, öffnet Tür und Tor für weitere solcher Prozesse. Selbstverständlich muss Kritik ernst genommen und rassistisches Denken und Handeln innerhalb wie außerhalb des AStA bekämpft werden – ein Vorwurf von solcher Tragweite, der prinzipiell auch justiziabel ist und weitreichende Folgen für die Beschuldigten auch im Privaten und im Berufsleben nach sich ziehen kann, darf jedoch niemals unbegründet sein. Wird diesem stattgegeben, so ist Rassismus kein Gegenstand objektiver Kritik, sondern hängt von der subjektiven Einschätzung von Einzelpersonen ab, die keineswegs die Gesamtheit der Betroffenen repräsentieren, sondern sich auf einen bestimmten Begriff von Rassismus festgelegt haben, der auch von rassifizierten Personen selbst kritisiert wird. Diese unterliegen folglich einer begrifflichen und praktischen Spaltung: Nur wer den eigenen Begriff von Rassismus teilt, ist tatsächlich betroffen, während rassifizierte Personen, die diesen Begriff nicht teilen, selbst in die Gruppe der Weißen abgeschoben werden können; für sie ergibt sich ein doppelter Ausschluss, da sie nach wie vor von Rassismus betroffen sind, zugleich aber keine Repräsentation erhalten. Während die Einrichtung eines rassismuskritischen Referats eine sinnvolle und wichtige Institution zur Bekämpfung des Rassismus darstellt, ist es unseres Erachtens wichtig, marginalisierte Gruppen und Personen innerhalb dieser Statusgruppe ebenfalls einzubeziehen und für deren Anliegen einzutreten. Dass dies nicht geschieht, deutet sich bereits in unserem Konflikt an, wenn persönliche Vorwürfe gegen die Projektstellenbeauftragte gerichtet werden.
Der AStA verspielt mit diesem Vorgehen seine Glaubwürdigkeit gegenüber diesen doppelt ausgeschlossenen Gruppen und verstößt gegen seine eigenen Beschlüsse, heißt es doch im Koalitionsvertrag:
„Der AStA vertritt die Meinung, dass Wissenschaft kritisch sein muss. Die Projektstelle Ideologiekritik soll weiterhin gefördert werden und Wissenschaft und Bildung an der Uni kritisch begleiten.“ [23]
Wir möchten mit Nachdruck betonen, dass wir weiterhin eine Auseinandersetzung des AStA der Universität Münster mit unserer Kritik erwarten und fordern daher eine öffentliche Stellungnahme. Die Debatte, die sich hier abzeichnet, schwelt bereits seit Jahren in der linken Szene Münsters, wird aber nicht offen diskutiert. Dafür wäre es höchste Zeit.
Ideologiekritik Münster
Nachweise:
[1] https://www.asta.ms/images/Dokumente/Asta/Plenum-Protokolle/2019_20/Protokoll_181219_gendert.pdf
[2] https://taz.de/Linke-und-die-Ermordung-von-Soleimani/!5652548/; alle Artikel der Kolumne unter https://taz.de/Kolumne-Orient-Express/!t5625269/
[3] Der Vortrag ist in ausgearbeiteter Version erschienen in: Ingo Elbe (2020). Gestalten der Gegenaufklärung. Würzburg: Königshausen & Neumann.
[4] https://www.facebook.com/events/400325000698471
[5] Ein Mitschnitt des Vortrags ist unter http://www.rote-ruhr-uni.com/cms/texte/article/it-s-not-systemic verfügbar.
[6] https://koschkalinkerhand.de/wp-content/uploads/2020/09/Nestbeschmutzerinnen.pdf
[7] https://www.facebook.com/events/400325000698471
[8] Antwort auf die Vortragskritik beim Autonomen Feministischen Referat in Oldenburg, http://linkerhand.blogsport.eu/files/2017/12/antwort-auf-vortragskritik-oldenburg.pdf, S. 3f.
[9] „Nestbeschmutzerinnen – Zum Stand der feministischen Islamkritik“, https://phase-zwei.org/hefte/artikel/nestbeschmutzerinnen-612/
[10] https://www.asta.ms/autonome-referate/bipoc-referat
[12] https://www.juedische-allgemeine.de/meinung/israelhass-in-muenster-jedes-mittel-recht/
[13] https://eklatmuenster.blackblogs.org/2020/08/26/so-nicht/
[14] https://www.facebook.com/jufomuenster/posts/1464281083764197
[15] Redebeitrag über anti-palästinensischen Rassismus – Gedenkveranstaltung für die Opfer von Hanau am 22.08.20 in Münster, https://palaestina-muenster.jimdofree.com/stellungnahmen-reden-dossiers/gedenkveranstaltung-6-monate-hanau-vereint-gegen-rassismus/redebeitrag-von-der-gedenkveranstaltung/
[16] Stellungnahme zu den Ereignissen bei und nach der Gedenkveranstaltung in Münster „6 Monate Hanau – Vereint gegen Rassismus“ 22.08.2020, https://www.facebook.com/bipocreferat.ms/posts/116893296800403
[17] https://www.youtube.com/watch?v=_dcExMl4_Iw
[18] https://www.instagram.com/jewishintersectional/
[19] Ganz zu schweigen davon, dass auf der Demonstration auch deutlich erkennbar eine Gruppe aufgepumpter Macker aus dem Umfeld der maoistischen Schlägertruppe des Jugendwiderstands anwesend war, die mit Drohgebärden die Gegendemo einzuschüchtern versuchten. Bei Demonstrationen, bei denen sowohl BDS als auch protofaschistische Gruppierungen unterwegs sind, die sich als links definieren, hört für uns jegliche allyship auf: Mit diesen Menschen ist keine befreite Gesellschaft zu machen.
[20] Beschlüsse der 3. Sitzung des 62. Studierendenparlaments der Universität Münster, 22. Juli 2019, https://www.stupa.ms/wp-content/uploads/Protokolle und Beschl%C3%BCsse/62. StuPa/Beschl%C3%BCsse/Beschl%C3%BCsse der 3. Sitzung des 62. StuPa_kor.pdf
[21] https://www.facebook.com/astamuenster/posts/3858160437574192
[22] Tara Falsafi (2018). Für immer fremd-bestimmt? In: Vojin Saša Vukadinović (Hrsg.): Freiheit ist keine Metapher. Berlin: Quer-Verlag, S.443-449.
[23]https://campusgruen-muenster.de/wordpress/wp-content/uploads/2019/11/Koalitionsvertrag-19_20.pdf